Diese Frage wage ich aufgrund meiner Erfahrung als Verkäuferin zu beantworten.
Ja, es ist so.
Ich bin zwar selbst ein waschechter Ossi, habe aber viele Jahre als Verkäuferin in Berlin-Frohnau gearbeitet. Etwa 90 Prozent der Kunden dort sind höflich und liebenswürdig. Meine Arbeit als Verkäuferin und meine Freundlichkeit wurde von ihnen dankbar angenommen und ich als Persönlichkeit respektiert. Ich hatte stets das Gefühl, dass die Freundlichkeit und der Respekt auf Gegenseitigkeit beruhten.

Aufgrund bestimmter Umstände, für die weder ich noch meine Chefin noch die lieben Frohnauer Kunden etwas können, arbeite ich jetzt wieder im Osten.
Hier weht ein etwas anderer Wind.
Zwar sind viele der hiesigen Kunden auch nett, und denen möchte ich gewiss nicht unrecht tun, ganz gewiss nicht! Doch es gibt auch viele Kunden, die betrachten mich als Dienstmagd, die weder Freundlichkeit noch Respekt verdient. Das Geld wird auf den Ladentisch geknallt, der Blick dabei kaum angehoben. Ein Hauch von Feindseligkeit liegt in der Luft. Über meine unermüdliche Freundlichkeit sind manche sichtlich erstaunt. Andere scheinen sich in ihrer eingebildeten Überlegenheit dadurch noch verstärkt zu fühlen.
Ich ahne, warum viele Ostkunden so sind.
Sie sind mit Sicherheit keine schlechteren Menschen als die Wessis. Doch sie waren über vierzig Jahre lang Bittsteller an den Ladentischen, und die Verkäuferinnen hatten die Macht zu entscheiden, wem sie etwas und wieviel verkauften.
Jetzt genießen die Ossis das gewendete Blatt und das neue Machtgefühl. Das ist es, was sie anders macht als die Westkunden.
In mir finden sie trotz allem eine verständnisvolle Verkaufskraft. Ich erinnere mich schließlich auch noch ganz genau, wie man als Kunde in der DDR behandelt wurde.
Eine Verkäuferin aus dem Westen könnte das nicht so ohne weiteres verstehen.

Friederike Müller

Von hemueveg