Als unser Kater Paulchen zu uns kam, war er bereits fünf Jahre alt. Das erzählte uns eine Nachbarin, Ruth, die ihn von klein auf kannte und regelmäßig aus dem Fenster des dritten Stocks fütterte. Paulchen war ein Freigänger, obwohl er einer Familie W. gehörte, die am anderen Ende unserer kurzen Straße wohnte.
Dass Paulchen jemandem gehörte, schien ihn nicht sonderlich zu interessieren. Eines Tages saß er bei uns im Garten und beobachtete uns. Ich hängte gerade Wäsche auf. Mein fünfjähriger Sohn sagte: „Guck mal, Mami, hier ist eine Katze.“ Ich bückte mich und sprach Paulchen an. Da kam er sofort und ließ sich streicheln. Als mein Sohn und ich ins Haus gingen, kam er mit. Er fraß eine Scheibe Kochschinken, die ich ihm anbot, dann ging er auf lautlosen Katzenpfoten durch unser Haus, die Treppe hoch, wieder herunter, um alles zu begutachten. Anschließend sprang er auf einen Sessel und legte sich würdevoll schlafen, so, als ob er schon immer bei uns gewohnt hätte. Meine Kinder (Sohn und Tochter) waren begeistert. Mein Mann allerdings gar nicht. Ich hatte gemischte Gefühle, schließlich hatte ich noch nie ein Haustier gehabt und überhaupt keine Erfahrung. Ich hoffte, dass Paulchens Besuch einmalig war.

Doch Paulchen hatte andere Pläne. Er kam am Abend wieder, als ich meinen Sohn ins Bett brachte. Er mauzte, auf dem Anbaudach stehend, unentwegt unter dem Kinderzimmerfenster, so dass ich es schnell zu machte, damit er nicht hereinspringen konnte.
In der Nacht ging ich hinunter in die Küche, um meinem Sohn etwas zu trinken zu holen. Da mauzte Paulchen vor unserem Küchenfenster, beide Vorderpfötchen an die Wand gestellt, schaute mich eindringlich an und mauzte und mauzte. Ich war ein wenig befremdet und fragte mich, was dieser fremde Kater von uns wollte. Ich ging noch kurz ins Bad, dessen Fenster offen stand. Da hörte ich auch schon den Kater auf das Fensterbrett springen. Jetzt hatte ich wirklich Angst vor ihm. Schnell verließ ich das Bad und machte die Tür zu. Just in diesem Moment sprang Paulchen hinein und langte mit seiner Vorderpfote mehrmals wie verzweifelt durch die untere Aussparung der Tür. Ich hatte echt Angst vor diesem Kater, dachte, er hätte Tollwut. Paulchen gab nicht auf. Er sprang eiligst wieder aus dem Bad heraus und stellte sich erneut mit den Vorderpfoten an das Küchenfenster, wo er mich vorwurfsvoll oder bettelnd, ich konnte es nicht deuten, unentwegt anmauzte. So ein Kater! Er hatte einen immens starken Willen. Ich ließ ihn natürlich nicht herein.
Doch Paulchen hatte einen dicken Kopf, einen ganz dicken. Schließlich hatte er sich etwas vorgenommen, und das wollte er auch durchsetzen. Er kam am nächsten Tag wieder und setzte sich (im Garten) neben uns, wo er den ganzen Tag sitzen blieb. Wir sahen keinen Grund, unfreundlich zu ihm zu sein, wo er doch so friedlich und lieb mit eingefalteten Pfötchen neben uns schlummerte. Ruth, unsere Nachbarin, sagte, der Kater heißt Paulchen und sei herrenlos.
Das war das Schlüsselwort.
Mit einem Schlag wurden wir weich, auch mein Mann. Paulchen durfte von nun an kommen, wann immer er wollte. Und er kam täglich und, als es kälter wurde, auch nächtlich. Bald erfuhren wir, dass er eigentlich der Familie W. gehörte. Doch Paulchen hatte seine eigene Wahl getroffen, so traurig das für die Familie W. auch gewesen sein muss. Er blieb bei uns und wurde unser Freund, unser lieber, weicher, schmusiger Freund, den wir nicht mehr missen wollten.

Undine März

Von hemueveg